Der Gottes-Sohn, geboren als der Menschen-Sohn, hat jenen bittren Kelch geleert ...

 

 

Wer sich nur selber retten will, lebt still und einsam, 

doch wer die Menschheit retten möchte, muss auch ihre Schmerzen teilen.

Dies soll ein jeder wissen, der dem grandiosen Drang dazu gehorcht.

Die Großen, die erschienen, um die leidensvolle Welt zu retten,

sie zu befreien aus dem Schatten des Gesetzes und der Zeit,

müssen sich beugen unter das Joch von Leid und Schmerz.

Sie werden mitgerissen von dem Rad, das zu zerbrechen sie erhofften.

Auf ihren Schultern müssen sie des Menschen Schicksalslasten tragen.

Des Himmels Schätze bringen sie, mit ihren Leiden zahlen sie den Preis.

Oder sie zahlen für des Wissens Gabe mit dem eignen Leben.

Der Gottes-Sohn, geboren als der Menschen-Sohn,

hat jenen bittren Kelch geleert, der Gottheit Schuld auf sich genommen, 

die Schuld, die der Ewige dem gefallnen Menschenwesen schuldet,

hat seinen Willen an den Tod gebunden, an ein Leben voller Kampf,

das sich vergebens nach Ruhe und ewigem Frieden sehnt.

Jetzt ist die Schuld bezahlt, getilgt die Rechnung unsres Ursprungs.

Der Ewige erträgt das Leiden in der menschlichen Gestalt.

Er hat mit seinem Blut das Zeugnis der Erlösung unterschrieben:

Er hat die Tore seines unsterblichen Friedens aufgetan.

Die Gottheit zahlt Entschädigung an die fordernde Kreatur.

Der Schöpfer trägt jetzt des Gesetzes Last von Schmerz und Tod.

Eine Vergeltung trifft den inkarnierten Gott.

So bahnte seine Liebe des Sterblichen Weg zum Himmel :

Er hat sein Leben und sein Licht dahingegeben,

um sterblicher Unwissenheit dunkele Rechnung auszugleichen.

Es ist vollbracht, dies schreckliche geheimnisvolle Opfer,

von Gottes Marterleib dahingegeben für die Welt.

Gethsemane und Golgatha heißt sein Los.

Er trägt das Kreuz, an das des Menschen Seele angenagelt ist.

Der Masse Flüche bilden sein Geleit.

Beleidigung und Hohn sind Anerkennung seines Rechts.

Zwei Diebe, die mit ihm getötet werden, lästern seinen großen Tod.

Mit blutender Stirne hat er den Weg des Heilands beschritten.

Er, der die eigene Identität mit Gott gefunden hat,

bezahlt mit seines Leibes Tod die ungeheuere Erleuchtung seiner Seele.

Seine Erkenntnis triumphiert unsterblich durch sein Sterben.

Geschlagen und gemartert, als er niedersinkt auf dem Schaffot, 

verkündet laut die Stimme des Gekreuzigten, "Ich, Ich bin Gott."

"Ja, Gott ist alles", tönt des Himmels todlose Erwiderung zurück. 

Die Saat der Göttlichkeit schläft im Herzen des Sterblichen.

Der Göttlichkeit Blüte wächst auf dem Weltenbaum:

Es sollen alle Gott entdecken in dem Selbst und in den Dingen.

Doch wenn ein Bote Gottes kommt, der Welt zu helfen,

und er der Erde Seele hin zu höheren Dingen führen will,

muss auch er jenes Joch tragen, das wegzunehmen er gekommen ist.

Auch er muss jenen bittren Schmerz ertragen, der er heilen wollte.

Wäre er ausgenommen von der Erde Schicksal und davon nicht heimgesucht, 

wie sollte er die Übel heilen, die er nie verspürte?

Er deckt den Todeskampf der Welt mit seiner Ruhe zu.

Doch wenn dem äußern Auge auch kein Zeichen sichtbar,

dem zerrissenen Menschenherzen Friede nicht gegeben wird,

so ist der Kampf doch da, und er bezahlt den unsichtbaren Preis.

Das Feuer und der Streit, das Ringen sind im Innern.

Er trägt in seiner eignen Brust die Welt mit ihrem Leiden.

Auf seinem Denken liegen ihre Sünden, und ihr Elend ist sein eignes.

Der Erde alte Bürde lastet schwer auf seiner Seele.

Die Nacht und ihre Mächte suchen seine zarten Schritte heim.

Er hält den Würgegriff des Feindes, des Titanen, aus.

Sein Weg ist eine Schlacht und eine Pilgerfahrt.

Ihn trifft des Lebens Übel, und er ist befallen von dem Schmerz der Welt:

Millionen Wunden klaffen insgeheim in seinem Herzen.

Ohne Schlaf ist er unterwegs durch eine nie endende Nacht.

Die Kräfte seiner Widersacher versperren ihm massenhaft seinen Pfad.

Sein innres Leben gleicht einer Belagerung, einem Gefecht.

Noch schlimmer mögen seine Kosten werden, noch entsetzlicher der Schmerz:

Seine umfassende Identität und allbeherbergende Liebe

sollen des Kosmos große Angst in seine Tiefen bringen.

Die Sorge aller lebenden Geschöpfe soll zu ihm kommen, 

an seine Tore klopfen und mit ihm in seinem Hause leben.

Ganz furchtbar kann ein Mitleidsband jedwedes Leiden

in seinen eignen Kummer einbinden,

den Todeskampf in aller Welt zu seinem eignen machen.

Dann tritt ihm eine alte böse Feindeskraft entgegen.  

Er wird gepeitscht mit Geißeln, die der Welt erschöpftes Herz zerreißen. 

Das Weinen der Jahrhunderte sucht seine Augen heim.

Er trägt das blutbefleckte Feuerhemd jenes Zentauren.

Das Gift der Welt hat seine Kehle angesteckt.

Und auf dem Marktplatz in der Hauptstadt der Materie,

inmitten all des Feilschens jenes Umtriebs, den man Leben nennt,

wird er gebunden an den Pfahl ewigen Feuers

Er brennt an einem unsichtbaren, ursprünglichen Rand,

damit Materie gewandelt werden kann in einen Stoff des Geistes:

Es ist das Opfer in der eignen Opferhandlung.

Gebunden an der Erde Sterblichkeit erschafft hier der Unsterbliche,

indem er auf den Wegen dieser Zeit erscheint und untergeht,

durch die Stundenschläge der Ewigkeit des Gottes großen Augenblick.

Er stirbt, dass die Welt neu geboren werden und leben kann.

Und wenn er auch den fürchterlichsten Feuern entrinnt,

die Welt nicht einbricht in ein Meer, das ihn ertränkt,

wird hoher Himmel nur errungen durch ein hartes Opfer:

Kampf und bitterem Leiden muss ins Auge schauen, wer die Hölle besiegen will.

Eine dunkle verborgne Feindschaft hat sich eingenistet

in den menschlichen Tiefen, im verborgenen Herzen der Zeit,

und sie verlangt das Recht, Gottes Werk zu verändern und zu ruinieren.

Geheime Feindschaft überfällt den Marsch der Welt aus einem Hinterhalt.

Sie hinterlässt ihr Mal auf unserm Denken, Reden, Handeln: 

Sie prägt Flecken und Fehler allen Dingen auf, die man hier tut,

bis sie vernichtet wird, ist der Friede auf Erden untersagt.

Zwar ist der Feind nicht sichtbar, doch der unsichtbare 

ist rings um uns, und uns belagern ungreifbare Kräfte.

Berührungen aus Feindbereichen und Gedanken, die nicht unser eigen sind, 

tun uns Gewalt an und bezwingen das verworrne Herz.

Unsere Leben sind gefangen in einem zweideutigen Netz.

In alter Zeit ward eine gegnerische Kraft geboren:

Als Eindringling ins Leben des sterblichen Menschen

verbirgt sie vor ihm den geraden unsterblichen Pfad.

Herein drang eine Macht, die das ewige Licht verhüllen sollte.

Eine Macht trat dem ewigen Willen entgegen

und lenkte die Botschaft des unfehlbaren Wortes ab. 

Sie verzerrte die Umrisse des Plans des Kosmos:

Ein Flüstern lockt des Menschen Herz zum Bösen,

es schließt der Weisheit Augen und der Seele Schauen,

es ist der Ursprung unsres Leidens hier,

es bindet diese Erde an das Elend und den Schmerz.

Dies alles muss besiegen, wer den Frieden Gottes niederbringen will.

Der Mensch muss diesen Feind, der in der Brust verborgen haust,

erst überwinden, oder er verfehlt sein höheres Schicksal.

Dies ist der Krieg im Innern, welcher unentrinnbar ist. 

 

 

Sri Aurobindo in

  SAVITRI, Buch VI  – Canto 2

Der Weg des Schicksals und das Problem des Leidens

 

 

 

 

 

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