Nationenseele oder Nationenego?

 

 

 

 

Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. 

Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht.

 

Jesus Christus

 

 

Die Nationen dieser Welt müssen lernen, ihr Nationenego von ihrer Nationenseele zu unterscheiden. 

Dazu ist eine tiefere innere Erforschung, Bestandsaufnahme und Arbeit nötig, und diese kann nicht vom „Staat“ getan werden, sie muss von jedem einzelnen Menschen getan werden. Findet der Mensch seine Seele, beginnt auch die individuelle Seele der Nation zu erblühen. 

 

Momentan erleben wir den erfolgreichen Versuch, einen geschützten Raum dafür zu erschaffen, damit jede Nation diese Arbeit vollbringen kann ohne Einmischung von außen. Das sollte umso mehr für jeden einzelnen Menschen gelten, weshalb jede Gängelei von staatlicher Seite enden muss, die dem Anspruch seiner freien seelischen Entfaltung entgegensteht.  

So, wie sich in jedem Menschen das individuell geprägte seelische Wesen um die Seele herum bildet und reift, so wird dem individuellen Charakter einer Nation wieder Leben eingehaucht werden.  

 

Das höchste Ziel jedoch ist die friedliche Koexistenz aller Menschen und aller Nationen als ein lebendiger irdischer Organismus, eine sich als zusammengehörig empfindende Menschheitsfamilie, die sich ihrer vielfältigen Facetten bewusst ist und sie liebt als Ausdruck ihrer SELBST, – und damit den Rest aller ungesunden Selbstbegrenzungen von sich wirft, um ihre gewollte und vollkommene Göttlichkeit zu verwirklichen. 

 

Erst dann haben unsere Seelen ihre wahre Freiheit erlangt.    

 

 

Das psychische Wesen ist die Seele oder der Funke des göttlichen Feuers, der die individuelle Evolution auf der Erde unterstützt, und das psychische Wesen ist das Seelenbewusstsein, das sich selbst entwickelt oder vielmehr seine Manifestation von Leben zu Leben mit dem Verstand, dem Vitalen und dem Körper als seinen Instrumenten, bis alles für die Vereinigung mit dem Göttlichen bereit ist.

 

Sri Aurobindo

 

 

 

Überlegungen Sri Aurobindos vor etwa hundert Jahren

 

  Grausamkeit jeder Art, ob vom Individuum, vom Staat oder von der Gesellschaft verübt, nicht nur physische Grausamkeit, sondern auch seelische und sittliche Rohheit, die Entwürdigung eines menschlichen Wesens oder einer Klasse menschlicher Wesen, ganz gleich unter welch bestechendem Vorwand oder in wessen Interesse, Unterdrückung oder Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, einer Klasse oder Nation durch eine andere und ähnliche Lebensgewohnheiten und Institutionen der Gesellschaft, die von Ethik und Religion früherer Zeiten toleriert, mitunter sogar gefördert wurden (was sie auch sonst etwa an Gutem in ihrem idealen Gesetz oder Glaubensbekenntnis taten) – das alles sind Verbrechen gegen die Religion der Humanität. Für ihren ethischen Sinn sind sie verabscheuungswürdig. Sie sind durch ihre Grundgebote untersagt. Immer soll man sie bekämpfen, und man darf sie nicht im geringsten tolerieren. …

 

  Der Mensch soll für den Menschen etwas Geheiligtes sein, ohne Rücksicht auf die Unterschiede der Rasse, des Glaubens, der Hautfarbe, der Nationalität, seiner höheren oder niederen Stufe im politischen oder sozialen Fortschritt. Vor dem Leib des Menschen muss man Achtung haben; er soll unantastbar sein durch Gewalt oder Schändung. Er soll durch die Wissenschaft zunehmend gestärkt werden gegen Krankheit und vermeidbaren Tod. Das Leben des Menschen soll heilig gehalten, geschützt, gestärkt, geadelt und gehoben werden. Auch das Herz des Menschen soll als heilig gelten, man soll seine Kräfte frei entfalten, man soll es vor Verletzung, Unterdrückung, Mechanisierung und vor herabsetzenden Einflüssen bewahren. 

  Die mentalen Fähigkeiten des Menschen sollen von allen einengenden Banden befreit werden, man soll ihnen weiten Raum zur Entfaltung geben, alle Mittel zur Selbstausbildung und Selbstentfaltung zur Verfügung stellen, ihr Kräftespiel für den Dienst an der Menschheit organisieren. Das alles darf nicht für abstrakte und fromme Empfindung gehalten werden. Man soll ihm praktische Anerkennung zollen in der Person des Menschen, der Nation und der Menschheit …

 

  Es ist zwar möglich, durch politische und administrative Mittel eine von Gefahren bedrohte, rein mechanische Vereinigung zu schaffen. Die Einung der Menschheit kann aber, wenn sie auf diese Weise zustand gebracht würde, nur dann gesichert und zu etwas Wirklichem gemacht werden, wenn sich die Religion der Humanität, die heute das höchste aktive Ideal der Menschheit ist, spiritualisiert und zum allgemeinen inneren Gesetz des menschlichen Lebens wird. …

 

  Die logische Vernunft des Menschen, selbst eine Präzisionsmaschine, verschreibt sich gern mechanischer Tendenz, ihre Abläufe sind offensichtlich am leichtesten zu handhaben und am einfachsten zu kontrollieren, ihre vollständige Entwicklung mag erstrebenswert, notwendig und unvermeidlich erscheinen. Aber ihr Ende ist vorbestimmt. Ein zentralistischer sozialistischer Staat mag zwangsläufig kommen, wenn er erst einmal begründet worden ist, – die Reaktion gegen ihn ebenso. Je stärker sein Druck ist, umso gewisser wird sich das spirituelle, intellektuelle, vitale und praktische Prinzip des Anarchismus ausbreiten und gegen ihn revoltieren. Auch ein zentralisierter mechanischer Welt-Staat muss am Ende eine ähnliche Kraft gegen sich wachrufen, dann zerbröckeln und sich auflösen. 

  So mag es notwendig werden, den Zyklus der menschlichen Entwicklung zu wiederholen, um zuletzt eine bessere Lösung des Problems zu erzielen. Ein zentralisierter Welt-Staat könnte nur am Leben erhalten werden, wenn die Menschheit damit einverstanden ist, bis zum Ende ihrer Tage um seinetwillen reglementiert zu bleiben, weil das für den Frieden und die Stabilität nötig ist. Dann nimmt sie eben zur Wahrung ihrer individuellen Freiheit Zuflucht zum spirituellen Leben, wie das einst unter dem Römischen Imperium geschah. Aber selbst diese Flucht wäre nur eine vorübergehenden Lösung. …"

 

Sri Aurobindo und die Mutter kamen letztendlich zu dem Schluss: Die Verwirklichung einer Welt-Union ist ein wesentlicher Schritt, die Zukunft der Menschheit zu sichern, um von dort aus den nächsten Schritt ihrer Evolution zu ermöglichen:

 

Seine wünschenswerteste Gestalt wäre eine Föderation freier Nationen, in der jegliche Unterdrückung, aufgezwungene Ungleichheit, Unterordnung der einen unter die anderen verschwunden ist. Selbst, wenn manche Nationen einen größeren natürlichen Einfluss ausüben würden, so hätten doch alle den gleichen Status. Eine Konföderation würde den Nationen, die miteinander den Welt-Staat bilden, größte Freiheit bieten, könnte aber Spaltungs- und Zentrifugaltendenzen zu großen Raum lassen. Darum wäre eine föderative Ordnung die wünschenswerteste. Alles andere wäre durch den Lauf der Ereignisse bestimmt, durch ein allgemeines Übereinkommen oder durch die Gestaltung, die dank der künftig in Erscheinung tretenden Ideen oder Bedürfnisse gewonnen wird. Eine Welt-Union dieser Art hätte die größte Aussicht, auf lange Zeit oder gar auf die Dauer zu existeren. ..."  

 

aus: "Das Ideal einer geeinten Menschheit"

 

 

Die Duldsamkeit unserer Seele

 

 

Doch da sie des Geistes und des Lebens Mühsal kennt,

Einer Mutter gleich, die ihrer Kinder Leben fühlt und teilt,

Sendet sie ein kleines Etwas ihrer selbst hinaus,

Ein Wesen, nicht größer als eines Menschen Daumen,

In den verborgenen Herzensbereich,

Um der Pein zu begegnen und die Wonne zu vergessen,

Das Leid zu teilen und der Erde Weh zu tragen,

Zu werken inmitten des Wirkens der Sterne.

Dies lacht in uns und weint und duldet den Hieb,

Frohlockt im Siege und ringt um die Krone;

Ist eins mit Geist und Leib und Leben,

Nimmt auf sich deren Angst und Unvermögen,

Blutet von des Schicksals Hieben, hängt am Kreuz,

Und ist dennoch das unversehrte, unsterbliche Selbst,

Den Spieler stützend in der Menschheit Spiel.

Durch dies schickt sie uns ihre Herrlichkeit und Macht,

Drängt uns zu Weisheitshöhn durch Abgründe des Leids;

Sie gibt uns Kraft für unser Tagewerk

Und Mitgefühl für anderer Leid,

Und die geringe Stärke, die unser ist, um unserer Art zu helfen,

Wir, die wir die Rolle des Universums übernommen haben,

Das Komödie spielt in schmächtiger Menschengestalt,

Wir, die wir die ringende Welt auf unseren Schultern tragen.

Das ist der Gott in uns, klein und entstellt;

In diesen menschlichen Teil des höchsten Wesens

Setzt sie die Größe der Seele in der Zeit,

Um sie von Licht zu Licht, von Macht zu Macht zu heben,

Bis sie auf himmlischem Gipfel steht, ein König,

Gebrechlichen Leibs, zuinnerst eine unbesiegbare Macht,

Klimmt stolpernd sie an ungesehner Hand,

Ein sich mühender Spirit in sterblicher Gestalt.

 

Sri Aurobindo in SAVITRI: Buch VII, Canto 5

 

 

 

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