Gott und die Götter – Teil 1: Die Entstehung der Welt

 

 

 

 

Alle Dinge sind

Selbst-Entfaltungen

des Göttlichen Wissens.

 

Vishnu Purana, II.12.39.

 

 

Der Auffassung des Göttlichen als einer äußeren, allmächtigen Kraft, die die Welt erschuf und sie wie ein absoluter und willkürlicher Monarch regiert – der christliche oder semitischen Auffassung – konnte ich mich nie anschließen. Sie widerspricht allzusehr meiner Sichtweise und Erfahrung in meiner dreißigjährigen Sadhana.

 

Sri Aurobindo

 

 

 

  "Gott"

 

Welcher Sucher kennt ihn nicht, diesen inneren Kampf um Erkenntnis der wahren Natur des Göttlichen? Kein Wort löst so viele kontroverse Empfindungen aus wie das Wort "Gott". Und mangels echter Gotteserfahrungen tendieren wir dazu, uns eben doch ein „Bild“ von Gott zu machen, eine begrenzte Version unserer eigenen Projektionen. "Können wir Ihm wirklich vertrauen in jeder Lebenslage ...?"

Es ist einfach, die Schuld für unser korrumpiertes Gottesbild "der Kirche" oder anderen Institutionen zuzuschieben, denn was oder wer kann uns letztlich davon abhalten, eine lebendige Beziehung zu Ihm aufzubauen? Gelingt es uns erst im Angesicht des bevorstehenden Todes, der uns erschaudern lässt, weil er uns plötzlich alles entreißt, worauf wir uns im Leben stützten?

Wir können damit jeden Tag beginnen, ungeachtet dessen, was wir bisher glaubten oder taten, der Höchste schließt uns freudig in die Arme. Wer es aufrichtig tut, wird aus dem Staunen nicht mehr herauskommen, wie sich sein Leben dadurch verändern kann. Gott ist der große Puzzlemeister, der alle unsere Anteile, auch die, die wir vergessen haben, wieder an ihren rechtmäßigen Platz rückt, damit Ruhe und Frieden in uns einkehren. Der "Lärm" endet und es entsteht Raum für Neues, Wunder-volles.

Und schon jagen wir nicht mehr äußeren Süchten hinterher, erkennen, was nottut und lassen unsere Mitmenschen in Frieden leben. 

 

Der Mutter erging es in ihrer Inkarnation auf der Erde in jungen Jahren nicht anders, wenngleich sie schon als Kind das hatte, was wir übersinnliche Erfahrungen nennen. So fühlte sie bereits als Fünfjährige ein permanentes Licht oberhalb des Kopfes und strebte ständig danach, in allem, was sie tat, vollkommen zu sein. Aber auf mentaler Ebene hatte sie "eine absolute Weigerung, an einen `Gott´zu glauben":


„Bis zum Alter von zwanzig erzürnte mich der bloße Gedanke an einen Gott. … Ich glaubte an nichts anderes als das, was ich sehen und berühren konnte. … Ich besaß die solideste Basis – keine eitlen Vorstellungen, kein mystischer Atavismus …
Bis zum Alter von ungefähr fünfundzwanzig wusste ich von keinem anderen Gott, als dem Gott der Religionen, das, was die Menschen aus ihm gemacht haben, und diesen wollte ich um keinen Preis. Ich verneinte seine Existenz, mit der gleichzeitig bestehenden Gewissheit, dass ich für einen solchen Gott, falls er doch existieren sollte, nur Verachtung übrig hätte.

 

Es war Max Théon, eine Inkarnation des Todes, der die Mutter in die bis dahin unerforschten Tiefen des Okkulten einführte und sie in Berührung brachte mit dem wahren Gott:

 
„Ich war völlig gegen einen `Gott´eingestellt. Der europäische Begriff von Gott war mir äußerst zuwider … Die Vorstellung von einem Gott, der friedlich in seinem Himmel thront, dann die Welt erschafft, sie als nächstes vergnügt betrachtet und sich sagt: ´Und siehe, es ist gut!´… , Oh´, sagte ich mir, `mit diesem Monster will ich nichts zu tun haben!´´
Natürlich schloss dies gleichzeitig jegliche Erfahrung aus. …
Meine Rückkehr zum Göttlichen kam durch Théon zustande, als mir gesagt wurde: `Das Göttliche ist im Innern, dort´“, während Mutter auf ihre Brust pochte.

 

Weshalb stellte sich die Mutter überhaupt dieser Frage? War sie selbst nicht eines der machtvollsten, göttlichen Wesen? Die Schöpfermacht des Universums?

Aber wurde sie nicht wie wir in einen menschlichen Körper hineingeboren? Wurde sie dadurch nicht ebenso den irdischen (Natur-)Gesetzen unterworfen?

In unserer Naivität nehmen wir gern an, ein Avatar oder die göttliche Mutter müssten sich ab dem ersten Atemzug ihrer Göttlichkeit bewusst und erhaben sein über jedes Leid. Und dass sie das Wissen des ganzen Universums in sich tragen würden. Aber wozu dann diese schmerzhafte und langwierige Zeit des Lernens und Erforschens auf Erden über Jahrzehnte hinweg? Mutter war 95 Jahre alt, als sie ihre Aufgabe auf Erden beendet hatte.

Dieser Irrtum ist weit verbreitet. Auch Sri Aurobindo wies darauf hin, dass ein Avatar mit genau dem Wissen und den Fähigkeiten ausgestattet ist, die seiner besonderen Aufgabe auf Erden dienen. Alle andere ist unnötiger `Ballast´. Und jedes bestehende System, das gilt auch für das irdische und unser körperliches System, kann nur von innen heraus nachhaltig verändert werden. Dazu muss man die vorherrschenden Gesetzmäßigkeiten und ihre Auswirkungen ergründen, indem man sich ihnen unterwirft. Um dann in Interaktion damit einen Weg zu finden, ein neues (Bewusstseins-)Element zu entwickeln, eine „neue Gesetzmäßigkeit“, die die Macht hat, sich in diesem Milieu fortzusetzen, zu entfalten und bedeutende Veränderungen herbeizuführen; ohne eine größere Katastrophe auszulösen, was nur den widergöttlichen Mächten zuarbeitet. Und diese Erfahrung haben wir schon einmal hinter uns gebracht mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Die Folgen waren verheerend und offensichtlich. 

 

Statt der unsäglich lieblosen Kriegspropaganda der Falschheit müsste man es rund um die Uhr in allen Medien bringen: Jeder, der sein Ego in diesen Tagen zurücknimmt und akzeptiert, dass er nicht weiß, was ER weiß und sich bewusst SEINER Souveränität unterstellt als Lebens- und Handlungsgrundlage, trägt dazu bei, die Schäden für alle Menschen zu minimieren und das Kommen der Neuen Erde zu beschleunigen.

Die Menschen sind müde, erschöpft und deprimiert, der langanhaltende Informationskrieg, v.a. seit 2020, fordert seinen Tribut. Ein Grund mehr, loszulassen und sich helfen zu lassen, damit Seine Stärke zu unserer wird.

Stattdessen ist zu beobachten, dass viele Menschen inzwischen resignieren und verbittert an gar nichts mehr glauben. Sie ist so traurig, diese defätistische Energie.  

 

 

Eine Geschichte

Der Kontakt zu Max Théon, seinem Wissen und den Erkenntnissen in der von ihm verfassten „Kosmischen Tradition“ waren für Mutter eine wahre Fundgrube. Sie bezeichnete das Werk als eine „Einweihung in Form von Geschichten.“
Eine dieser Geschichten handelt von der Erschaffung der Welt. Mutter erzählte sie immer wieder in leicht abgeänderter Form, je nach Fragestellung, Schwerpunkt und Zuhörerschaft. Diese Erzählung mutet uns heute, wie vielleicht auch einigen Zuhörern damals, sehr kindlich an und muss symbolisch verstanden werden, um den tieferen Wahrheitsgehalt dahinter zu erfassen. Mutter empfand Metaphysik und hochtrabendes Philosophieren als "trocken" und sie gab gern dieser einfachen Bildersprache den Vorzug, um ihre Schüler an tiefgründige philosophische Themen heranzuführen; sie wollte, dass jeder es versteht. "Die Geschichten aus der "Tradition" dürfen nicht als konkrete Wahrheiten aufgefasst werden", merkte sie dazu an, "es sind aber eindrucksvolle symbolische Darstellungen. So kam ich sehr konkret mit der Wahrheit über den eigentlichen Grund der Verfälschung der Welt in Berührung ... In ihrer Essenz ist die Welt nicht schlecht, aber ihre Funktion ist fehlerhaft.

Worte sind so kindisch, wenn man all dies Philosophen und Metaphysikern sagt, schauen sie einen mitleidig an, aber diese symbolische Geschichte gibt einen solch konkreten Zugang zum Problem. Jedenfalls half sie mir sehr. ...

 

Aber nun zu der Geschichte: 


„Dort erhielt ich den ersten Hinweis über die vier ersten Emanationen der universalen Mutter, als der Herr seine Schöpfermacht der Mutter übertrug. Genauso wie in der alten indischen Tradition, nur war es auf eine allgemeinverständliche, fast kindliche Art erzählt, in Form von Bildern, wie eine Kino-Bilderwelt, und sehr lebendig. …

Eines Tages beschloss Gott, sich nach außen zu projizieren, sich zu objektivieren, um in den Genuss der Freude zu kommen, sich bis in die kleinsten Verästelungen kennenzulernen. Also ließ er zuerst sein Bewusstsein ausströmen und wies es an, ein Universum zu erschaffen. Dieses Bewusstsein begann sein Werk mit der Emanation von vier Wesenheiten, von Individualitäten, die äußerst hochstehende Wesen von einer höchsten Wirklichkeit waren, nämlich: die Wesenheit des Bewusstseins, die Wesenheit der Liebe (oder vielmehr des Anandas), die Wesenheit des Lebens und die Wesenheit des Lichts und der Erkenntnis. Wobei Bewusstsein und Licht identisch sind. Wir haben also: Bewusstsein, Liebe-Ananda, Leben und Wahrheit – das ist das richtige Wort – Wahrheit. Und natürlich wahren sie höchst machtvolle Wesen – wie man sich gut vorstellen kann! In diesem alten Wissen heißen sie die `Ersten Emanationen´, in anderen Worten, die Ersterschaffenen. Aber jeder einzelne von ihnen wurde sich seiner Qualität, seiner Macht, seiner Fähigkeiten und Möglichkeiten sehr intensiv bewusst und vergaß sehr rasch, dass er nur eine der Emanationen und Inkarnationen des Höchsten darstellte.

Folgendes geschah:
Als sich das Leben oder das Bewusstsein vom göttlichen Bewusstsein abtrennte – das heißt, als es sich als das göttliche Bewusstsein zu sehen begann, mit nichts anderem neben sich selbst – verwandelte es sich plötzlich in Dunkelheit und Unbewusstheit.
Und als das Licht dachte, das ganze Leben sei in ihm selbst enthalten und sich der Vorstellung hingab, dass es in keiner Weise vom Höchsten abhängig sein, wurde das Leben zum Tod.
Und als die Wahrheit dachte, sie enthalte die ganze Wahrheit, und es gebe keine andere Wahrheit als sie selbst, wurde diese Wahrheit zur Falschheit.
Und als die Liebe oder das Ananda sich davon überzeugte, es sei das höchste Ananda, mit nichts anderem umgeben als seiner eigenen Seligkeit, wurde es zu Leiden.
So wurde die Welt, die so schön hätte sein können, zu diesem hässlichen Ort."

 

An anderer Stelle ging die Mutter noch einmal ausführlicher auf die vier Wesenheiten ein:


„Anstatt ihre Handlungsimpulse von Ihm zu erhalten und die Dinge in der richtigen Ordnung zu tun, machten sie sich selbständig auf den Weg und taten, was ihnen beliebte – sie waren sich ihrer Macht bewusst, sie konnten handeln und taten es auch. Sie vergaßen ihren Ursprung. Und augenblicklich wurden sie in das geschleudert, was zur Materie wurde. Gemäß Théon geht die Welt, so, wie wir sie kennen, darauf zurück. Dies also war der Höchste selbst in seiner ersten Manifestation. ..."

 

In Sri Aurobindos Werken findet man viele Beschreibungen der Natur des Asurischen. Es fällt nicht schwer, Parallen in der heutigen Welt zu finden:

 

"So verlangen die Instinkte des Titanen nach sichtbarer, fühlbarer Meisterschaft und sinnlicher Beherrschung. Wie kann er seiner Herrschaft sicher sein, solange er nicht etwas hilflos sich unter seinem Tritt winden sieht – am besten im Todeskampf? Was bedeutet Ausbeutung für ihn, wenn nicht die Minderung des Ausgebeuteten? Zum Zwingen, Fordern, Töten fähig sein, offen, unwiderstehlich – nur das erfüllt ihn mit dem Gefühl von Glanz und Herrschaft. Denn er ist der Sohn der Teilung und des starken Erblühens des Ego.

Um sich als unermesslich vorstellen zu können, muss er die vergleichsweise Begrenztheit Anderer spüren; denn er besitzt nicht die selbstexistierende Wahrnehmung der Unendlichkeit, die kein äußerer Umstand beeinträchtigen kann. Gegensatz, Teilung, Verneinung des Willens und Lebens Anderer sind wesentlich für seine Selbstentwicklung und Selbstbehauptung. Der Titan pflegt durch Verschlingen zu einen, nicht durch Harmonisieren; was nicht er selbst ist, muss erobert und entweder aus dem Dasein oder in Knechtschaft getrampelt werden, damit sein eigenes Bild allen Dingen aufgeprägt und seine ganze Umgebung beherrschend hervortreten kann."

 

Lässt sich dieses globale Ego in Aktion nicht leicht erkennen? Bis hinein in die niedersten und subtilsten Regungen mancher Menschen, denn es gibt nichts Großes und nichts Kleines. Alles wirkt sich im irdischen Bewusstseinsfeld aus. Stellen wir uns die etwa acht Milliarden Menschen auf diesem Planeten vor: Was bewegt jeder Einzelne tagtäglich in seinem Geiste und strahlt es damit in sein Umfeld aus? Das summiert sich auf und verstärkt das Feld.

Was bewege ich selbst den ganzen Tag über in meinem Geist? Welche Gedanken und Gefühle hege ich? Dienen sie dem Kommen des Wahren, Guten und Schönen ...?

Es geht dabei nicht um das Predigen schöner Worte, es geht um die tagtägliche innere Haltung. Dazu fällt mir ein netter Satz ein von einem der Weisheitslehrer, die meinen Weg begleiteten. Er sagte: "Schnurre einen Sturm hoch zu Gott!"  Welcher Katzenliebhaber kann dem widerstehen?

Eine entzückende Metapher für die Natur einer lebendigen, hingebungsvollen Beziehung zwischen Gott und Mensch.

 

 


                Das göttliche Opfer

 

Die göttliche Mutter bedauerte diesen Fehlschlag, als sie erkannte, wie die Welt „zur vitalen Welt in ihrer Finsternis geworden ist und sie die Materie aus dieser vitalen Welt erschaffen haben, und sie flehte zum Höchsten: `Man muss die Welt retten, jetzt, wo sie in diesem entsetzlichen Zustand ist! Man kann sie nicht einfach so belassen, man muss sie retten und ihr das göttliche Bewusstsein wieder einhauchen. Was tun?´

Worauf ihr der Höchste antwortete: „`Wirf dich unten in der materiellsten Materie in eine neue Emanation, eine Emanation der Liebe in ihrer Essenz.´

Was bedeutete, in die Erde hinabzutauchen – die Erde war zum Symbol und zur Verkörperung des ganzen Dramas geworden.`Tauch in die Materie ein!´ Dies tat sie dann auch, und so wohnt im Inneren der materiellen Substanz die Urquelle des Göttlichen. Von dort schickt sie sich an, die Materie emporzuheben.“


Sri Aurobindo und Mutter bezeichneten diese Essenz des Göttlichen in der Materie als die „seelische Flamme“.

Gehen wir mit dieser Entstehungsgeschichte unserer Erde in Resonanz? Halten wir sie für Fiktion? Das bleibt jedem selbst überlassen. Sollten wir tatsächlich von Anbeginn dieser Welt zugegen gewesen sein, in welcher Form auch immer, liegt dieses Wissen nicht nur tief in uns verborgen, sondern es hat sich als unzählige Bewusstseinsformationen in diesem irdischen Milieu abgelegt und wird sich zu seiner Zeit enthüllen.

 

 

 

Es gibt ein Selbst, das aus dem Wesen der Materie ist.

Es gibt ein anderes inneres Selbst des Lebens, das das erstere füllt.

Es gibt ein anderes inneres Selbst des Mentals.

Es gibt ein anderes inneres Selbst des Wahrheits-Wissens.

Es gibt ein anderes inneres Selbst der Seligkeit.

 

Taittiriya Upanishad, II. 1–5.

 

 

 

Würden wir den Schöpfungsvorgang mit unseren heutigen fünf Sinnen beobachten, was würden wir davon wahrnehmen? In seinem Werk "Das Göttliche Leben" gibt es einen Absatz, der das recht gut beschreibt und in dem Sri Aurobindo gleichzeitig den Bogen bis in die heutige Zeit spannt:

 
"Hätte es einen Zeugen der Schöpfung gegeben, der bewusst, aber uneingeweiht war, er hätte nur beobachtet, wie aus einem unermesslichen Abgrund scheinbaren Nicht-Seins eine Energie auftauchte, die sich mit der Erschaffung von Materie befasste, mit einer materiellen Welt und materiellen Gegenständen. Sie ordnete die Unendlichkeit des Unbewussten in den Plan eines grenzenlosen Universums, in ein System zahlloser Welten ein, die sich rings um ihn ohne ein gewisses Ende, ohne Begrenzung im Raum ausdehnten. Unermüdlich erschuf sie Nebel oder Haufen von Sternen, Sonnen und Planeten. Sie existierte für sich allein, ohne Sinn, leer von Ursache und Absicht. Ihm wäre das Ganze als ein gewaltiger nutzloser Mechanismus erschienen, als mächtige bedeutungslose Bewegung, als Schauspiel von Äonen ohne Zeugen, als kosmisches Gebäude ohne Bewohner. Denn er hätte kein Anzeichen eines innewohnenden Geistes gesehen, kein Wesen, zu dessen Freude das erschaffen wurde. Eine Schöpfung dieser Art konnte nur das Ergebnis einer unbewussten Energie sein; oder ein Lichtspieltheater der Illusionen, ein Schattenspiel, ein Puppenspiel von Gestalten, die von einem überbewussten indifferenten Absoluten reflektiert werden.

Er hätte keinen Beweis für das Dasein einer Seele, keine Andeutung von Mental oder Leben in dieser unermesslichen, unbegrenzbaren Entfaltung von Materie gesehen. Es wäre ihm als unmöglich oder unvorstellbar erschienen, dass in dieses wüste, für immer unbelebte, empfindungslose Weltall wimmelndes Leben hervorbrechen würde, eine erste Schwingung von etwas Okkultem und Unberechenbarem, das lebendig und bewusst ist, eine geheime spirituelle Wesenheit, die sich ihren Weg an die Oberfläche ertastet.

Hätte er aber einige Äonen später wieder einmal auf dieses sinnlose Panorama geschaut, er könnte dann zumindest in einer kleinen Ecke des Universums dieses Phänomen entdeckt haben, einen Fleck, wo die Materie zubereitet, ihre Entwicklung genügend gesichert, organisiert, stabilisiert und als Schauplatz für eine neue Entwicklung hergerichtet war: die Erscheinung lebender Materie, Leben in den Dingen, das hervortrat und sichtbar wurde.

Trotzdem hätte der Beobachter noch nichts davon verstanden, denn die evolutionäre Natur verhüllt noch ihr Geheimnis. Er würde eine Natur gesehen haben, die nur damit befasst war, diesen Ausbruch von Leben, diese neue Schöpfung gesichert zu erhalten. Das Leben schien aber ohne Bedeutung in sich, nur für sich selbst zu leben, – eine Schöpfermacht, die nach Laune und in unerschöpflicher Fülle damit beschäftigt ist, den Samen ihrer neuen Kraft auszustreuen und in einem schönen, verschwenderischen Überfluss eine Menge ihrer Formen gesichert zu erhalten oder später Gattung und Art aus reiner Freude am Erschaffen endlos zu vermehren: als ob ein kleiner Tupfen lebensvoller Farbe und Bewegung in die ungeheuere kosmische Wüste gespritzt worden wäre, sonst nichts.

Der Beobachter hätte sich nicht vorstellen können, dass ein denkendes Mental auf dieser winzigen Insel von Leben erscheinen würde, ein Bewusstsein im Unbewussten erwachen könnte; eine neue intensive subtile Schwingung an die Oberfläche kommen und das Dasein des in der Tiefe versunkenen Geistes deutlicher verraten würde. Er hätte zuerst den Eindruck gewonnen, das Leben sei zunächst nur irgendwie seiner selbst gewahr geworden, und das sei alles. Denn dieses kärgliche neugeborene Mental schien nur ein Diener des Lebens zu sein, eine Erfindung, um dem Leben leben zu helfen, ein Mechanismus zu seiner Erhaltung, eine Waffe zum Angriff und zur Verteidigung, eine Unterstützung für bestimmte Bedürfnisse und vitale Befriedigungen, ein Helfer, um Lebens-Instinkt und Lebens-Impuls freizusetzen. Ihm konnte es gar nicht als möglich erscheinen, dass in diesem kleinen Leben, das so unauffällig inmitten der Unermesslichkeiten vegetierte, in einer einzigen Art aus einer winzigen Menge ein mentales Wesen hervortreten würde: ein Mental, das zwar noch dem Leben dient, das aber auch das Leben und die Materie zu seinen Dienern macht, das sie verwendet zur Erfüllung seiner eigenen Ideen, seines Willens, seiner Wünsche; ein mentales Wesen, das Gebrauchsgegenstände, Werkzeuge und Instrumente aller Art aus der Materie erschaffen würde, um sie für vielerlei nützliche Zwecke zu verwenden; das aus ihr Städte, Häuser, Tempel, Theater, Laboratorien, Fabriken errichten würde; das Statuen aus ihr meißelt, Höhlenkathedralen heraushaut, Architektur, Skulptur, Malerei, Dichtung und Hunderte von Handwerken und Künsten erfindet; das die Mathematik und Physik des Universums und das verborgene Geheimnis seiner Struktur entdeckt; das um des Mentals willen und für seine Interessen, für das Denken und für das Wissen lebt; das sich in den Denker, den Philosophen, den Wissenschaftler entwickelt und das in erhabener Verachtung der Herrschaft der Materie in sich die verborgene Gottheit erweckt und zum Abenteurer wird, der nach dem Unsichtbaren jagt, zum Mystiker, zum spirituell Suchenden ..." (Buch 2, XXIV)

 

 

 

Des Menschen Seele, ein Reisender, wandert in diesem Zyklus des brahman, gewaltig groß, eine Totalität von Lebensabläufen, eine Totalität von Zuständen.

Sie wähnt sich verschieden von Ihm, der den Impuls gibt zur Reise.

Ist sie von Ihm angenommen, erlangt sie ihr Ziel der Unsterblichkeit.

 

Svetasvatara Upanishad, I.6.

 

 

 

 

 

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