Welcher Unterschied besteht zwischen Moral und Spiritualität?

Altruismus, Pflicht, Familie, Heimatland, Menschheit sind die Gefängnisse der Seele,

wenn sie nicht ihre Werkzeuge sind.

 

Sri Aurobindo

 

 

Die Seele gehört dem Göttlichen und schuldet einzig Ihm Gehorsam und Dienst.

Ist es das Göttliche, das ihr den Auftrag gibt,

für die Familie, das Heimatland oder die Menschheit zu arbeiten,

so ist es sehr gut, und sie kann es tun, ohne sich zu verfangen.

Kommt der Auftrag nicht vom Göttlichen,

so folgt man einfach gesellschaftlichen und moralischen Konventionen.

 

Die Mutter

 

 

Der Wind dreht sich. Es kommt die Zeit, in der das Rinnsal zur Flut wird: Hinsichtlich der weltweiten Enthüllungen an Informationen und der Antwort darauf.

Was wird all das in uns auslösen? Wie wird es sich auf unser inneres Gleichgewicht und unsere zwischenmenschlichen Beziehungen auswirken? Denn am Selbstverständnis einiger bisheriger Rollen wird gerüttelt werden. 

Es ist gut, schonungslos zu hinterfragen, worauf wir unseren `festen Stand´ in dieser Zeit begründen: Auf übernommene Vorurteile? Moralische Wertvorstellungen? Oder auf unsere innerseelische Führung, die auf alles mit demselben Gleichmut schaut und nicht wertet?

Gerade am Anfang eines spirituellen Pfads kann die Unterscheidung zwischen moralischem Selbstanspruch, gelebter Spiritualität und Selbstbild sehr schwer zu treffen sein, sonst wäre jegliche Läuterung von göttlicher Seite überflüssig. Solange wir nicht vollkommen eins geworden sind mit unserem seelischen Wesen, bleibt es eine tagtägliche Herausforderung und ein fortwährendes Bemühen um Hingabe. Deshalb richtet sich dieser Blogeintrag vor allem an die Menschen, die sich aufrichtig dem göttlichen Bewusstsein als Instrument zur Verfügung stellen wollen.

Die folgenden Ausführungen der Mutter sind für das spirituelle Ego eine absolute Herausforderung und können eine heftige innere Gegenwehr auslösen. Sie sind ein guter Gradmesser, wo man selbst gerade steht. 

 

 

Welcher Unterschied besteht zwischen Moral und Spiritualität?

   (aus: Der sonnenhelle Pfad, S. 17ff, Sri Aurobindo Ashram Trust)

 

 

"Es besteht ein großer Unterschied zwischen Spiritualität und Moral, zwei Dingen, die ständig miteinander verwechselt werden.

Das spirituelle Leben, das Leben im Sinne des Yoga, hat zu seinem Ziel, in das göttliche Bewusstsein hineinzuwachsen und als sein Ergebnis das zu läutern, verstärken und erstrahlen zu lassen und zu vervollkommnen, was in dir ist. Es macht dich zu einer Kraft, die das Göttliche offenbart. Es hebt die Natur jeder Persönlichkeit zu ihrer vollen Bedeutung empor und verhilft ihr zu ihrem höchsten Ausdruck; denn dies ist Teil des göttlichen Plans.

Moral folgt einem mentalen Verfahren und errichtet mit einigen wenigen Vorstellungen davon, was gut ist oder nicht, ein Idealmodell, in welches sich alle  hineinzwingen müssen. Diese Idealvorstellung unterscheidet sich zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten in ihren Einzelheiten und in ihrer Gesamtheit. Und dennoch erklärt sie sich selbst zum einzigartigen Vorbild, einem kategorischen Absoluten. Sie erkennt außerhalb ihrer selbst nichts an; sie lässt nicht einmal eine Abweichung innerhalb ihrer selbst gelten. Alle sollen ihrem alleinigen Idealbild entsprechend geformt werden, alle sollen einheitlich und untadelig dieselben sein. Wegen ihrer starren, wirklichkeitsfremden Natur ist die Moral in Prinzip und Wirkweise das Gegenteil von Spiritualität.

Im spirituellen Leben enthüllt sich die eine Wesenheit in allem, aber auch ihre unbegrenzte Mannigfaltigkeit. Sie arbeitet für die Vielfalt im Einssein und für Vollkommenheit in dieser Vielfalt. Moral errichtet einen künstlichen Maßstab, der zur Verschiedenartigkeit des Lebens und der Freiheit des Geistes im Widerspruch steht. Sie erschafft etwas Mentales, Festgesetztes, Beschränktes und verlangt von allen, sich dem anzupassen. Alle müssen sich abmühen, dieselben Eigenschaften und denselben vorbildlichen Charakter zu erwerben.

 

Moral ist nicht göttlich oder vom Göttlichen. Sie ist vom Menschen und menschlich. Ihre Grundlage ist die unveränderliche Spaltung in Gut und Böse. Aber das ist eine willkürliche Setzung. Sie nimmt relative Dinge und versucht, sie als absolute einzuführen; denn dieses Gute und jenes Böse unterscheiden sich in unterschiedlichen Klimagebieten und Zeiten, Epochen und Ländern. Die Moralauffassung geht so weit, zu behaupten, es gäbe gute und schlechte Begierden und verlangt von dir, die eine anzunehmen und die andere zurückzuweisen. Aber das spirituelle Leben fordert von dir, überhaupt alles Begehren zurückzuweisen. Gemäß seines Gesetzes musst du alle Bestrebungen, die dich vom Göttlichen entfernen, verwerfen. Du musst sie abwehren, nicht weil sie in sich selbst schlecht wären — denn sie mögen für einen anderen Menschen in einer anderen Umgebung gut sein — sondern weil sie zu jenen Antrieben und Kräften gehören, die, unerleuchtet und unwissend, dir auf deinem Weg zum Göttlichen im Wege stehen. Alles Begehren, ob gut oder schlecht, fällt in diese Darstellung: denn das Begehren selbst entspringt einem unerleuchteten, vitalen Wesen und seiner Unwissenheit.

Andererseits musst du alle Regungen annehmen, die dich in Kontakt mit dem Göttlichen bringen. Aber du stimmst ihnen zu, nicht weil sie in sich selbst gut wären, sondern weil sie dich zum Göttlichen leiten. Akzeptiere also alles, was dich zum Göttlichen führt. Weise alles zurück, was dich von ihm fortbringt, aber sage nicht, dies ist gut oder jenes ist schlecht oder versuche nicht, anderen deine Auffassung aufzunötigen; denn das, was du als schlecht bezeichnest, mag für deinen Nachbarn, der nicht versucht, das göttliche Leben zu verwirklichen, genau das Richtige sein."

 

 

Liebe Mutter, hat uns die Moral nicht geholfen, unser Bewusstsein zu erweitern?

 

"Das hängt von den Leuten ab. Es gibt Leute, denen sie dienlich und andere, für die sie das überhaupt nicht war.

Moral ist etwas ganz und gar Künstliches und Willkürliches und in den meisten Fällen, selbst bei den Besten, hemmt sie echte spirituelle Bemühung durch eine Art moralischer Zufriedenheit, man sei auf dem rechten Weg und ein wahrer Gentleman, man erfülle seine Pflicht und komme allen moralischen Erfordernissen des Lebens nach. Dann ist man so selbstzufrieden, dass man sich nicht mehr von der Stelle rührt oder irgendeinen Fortschritt macht. Es ist für einen tugendhaften Mann sehr schwierig, den Pfad Gottes zu betreten. Das ist schon oft gesagt worden, aber es ist vollkommen richtig, denn er ist in höchstem Maße selbstzufrieden, er glaubt, er hat verwirklicht, was er verwirklicht haben sollte. Ihm fehlt entweder die Sehnsucht oder sogar jene einfache Demut, die uns nach Fortschritt verlangen läßt. Weißt du, einer, den wir hier als einen Weisen betrachten, hat es sich gewöhnlich in seiner Tugendhaftigkeit sehr bequem eingerichtet und denkt niemals daran, da herauszukommen. Das entfernt dich meilenweit von göttlicher Realisation.

 

Bis man das innere Licht gefunden hat, hilft es aber wirklich, für sich selbst eine bestimmte Anzahl Regeln aufzustellen, die natürlich nicht zu starr und unveränderlich sein sollten, jedoch genau genug, uns davor zu bewahren, vollständig vom rechten Pfad abzuweichen oder nicht wiedergutzumachende Fehler zu begehen – Fehler, unter deren Folgen wir unser ganzes Leben leiden. Dazu ist es gut, in sich selbst einige Prinzipien zu errichten, die jedoch jeweils im Einklang mit der eigenen Natur stehen sollten. Wenn man sich eine soziale, kollektive Regel zu eigen macht, wird man sofort zu einem Sklaven dieser Vorschrift, und das hindert uns fast vollständig daran, irgendeine Anstrengung zu unserer Umwandlung zu machen."

 

 

 

 

Eigennutz tötet die Seele; rotte ihn aus. Aber gib acht, dass dein Altruismus nicht die Seelen anderer töte.

 

Sri Aurobindo

 

 

Wenn du zum Beispiel anderen hilfst und ihnen dabei deine Gesinnung aufdrängen willst, so tötest du ihre Seele, weil sittliche und gesellschaftliche Regeln in keiner Weise das innere Gesetz ersetzen können, das jeder von seiner Seele empfangen muss.

 

Mutters Kommentar dazu

 

 

 

 

Der Menschheit dienen

 

"Warum möchtest du der Menschheit dienen, welche Vorstellung steckt dahinter? Es ist Ehrgeiz, damit du ein großartiger Mensch unter den Menschen wirst. Das ist schwer zu begreifen?... Das kann ich verstehen!"

 

Das Göttliche ist überall. Deshalb, wenn man der Menschheit dient, dient man dem Göttlichen, ist das nicht so?

 

"Das ist phantastisch! In dieser Angelegenheit ist es das Einleuchtendste zu sagen: „Das Göttliche ist in mir. Wenn ich mir selbst diene, diene ich ebenso dem Göttlichen!" (Gelächter) Tatsächlich ist das Göttliche überall. Das Göttliche wird sein Werk sehr gut ohne dich tun.

Ich sehe ganz gut, dass du mich nicht verstehst. Aber wirklich, wenn du begreifst, dass das Göttliche da ist, in allen Dingen, worin mischst du dich ein, indem du der Menschheit dienst? Um das zu tun, musst du besser wissen als das Göttliche, was für sie getan werden muss. Weißt du besser als das Göttliche, wie man ihr dient?

 

Das Göttliche ist überall. Ja. Dinge scheinen nicht göttlich zu sein.... Was mich betrifft, so sehe ich nur eine Lösung: Wenn du der Menschheit helfen möchtest, gibt es nur eines zu tun, d.h. nimm dich so vollständig wie möglich und bringe dich dem Göttlichen dar. Das ist die Lösung. Denn auf diese Weise wird wenigstens die physische Realität, die du verkörperst, fähig, dem Göttlichen ein wenig ähnlicher zu werden.

Man sagt uns, das Göttliche ist in allen Dingen. Warum ändern sie sich nicht? Weil das Göttliche keine Erwiderung erfährt, es spricht nicht alles auf das Göttliche an. Man muss die Tiefen des Bewusstseins erforschen, um das zu erkennen. Was willst du tun, um der Menschheit zu dienen? Den Armen zu essen geben? — Du kannst Millionen von ihnen ernähren. Das wird keine Lösung sein, dieses Problem wird dasselbe bleiben. Den Menschen neue und bessere Lebensbedingungen schaffen? – Das Göttliche ist in ihnen, wie kommt es, dass die Dinge sich nicht wandeln? Das Göttliche wird den Zustand der Welt besser kennen als du. Was bist du? Du stellst nur ein kleines bisschen Bewusstsein und ein kleines bisschen Materie dar, das ist es, was du „ich selbst" nennst. Wenn du der Menschheit helfen möchtest, der Welt oder dem Universum, dann ist das einzige, was du tun kannst, dieses kleine bisschen vollständig dem Göttlichen hinzugeben.

Warum ist die Welt nicht göttlich?... Es ist offensichtlich, dass die Welt nicht in Ordnung ist. Deshalb ist die einzige Lösung des Problems die, abzugeben, was dir gehört. Gib es vollständig, ganz und gar dem Göttlichen; nicht nur deinetwillen, sondern auch für die Menschheit, für das Universum. Es gibt keine bessere Lösung. Wie willst du der Menschheit nützen? Du weißt nicht einmal, was sie braucht. Vielleicht weißt du noch weniger, welcher Macht du dienst. Wie kannst du irgendetwas ändern, ohne dich selbst wirklich geändert zu haben?

In jedem Fall bist du dazu nicht mächtig genug. Wie kannst du erwarten, einem anderen Beistand leisten zu können, wenn du nicht über ein höheres Bewusstsein verfügst als er? Es ist eine solch kindische Idee! Nur Kinder sagen: „Ich werde ein Wohnheim aufmachen, einen Kinderhort bauen, Armen Suppe austeilen, dieses Wissen verkünden, jene Religion verbreiten...". Das geschieht nur, weil du dich selbst für besser hältst als andere, glaubst, du weißt besser, was sie sein oder tun sollten. Das ist es, was Der-Menschheit-dienen bedeutet. Du möchtest das alles fortsetzen? Es hat die Dinge nicht viel verändert. Der Menschheit helfen heißt nicht, ein Krankenhaus oder eine Schule zu eröffnen….

Du kannst Millionen Krankenhäuser einrichten, das wird die Leute nicht davor bewahren, krank zu werden. Im Gegenteil, dazu werden sie dann jede Gelegenheit und jede Ermunterung haben.

 

Wir sind durchdrungen von Vorstellungen dieser Art. Das beruhigt unser Gewissen: „Ich bin auf diese Welt gekommen, ich muss anderen helfen." Man sagt zu sich selbst: „Wie selbstlos ich bin! Ich werde der Menschheit helfen." Aber das ist nichts als Egoismus.

Tatsächlich ist das erste menschliche Wesen, das dich angeht, du selbst. Du möchtest das Leiden vermindern, aber wenn du nicht die Eigenschaft, zu leiden, in ein von Gewissheit getragenes Glücklichsein verwandeln kannst, wird sich die Welt nicht ändern. Sie wird immer dieselbe bleiben, wir drehen uns im Kreis — eine Zivilisation folgt der anderen, eine Katastrophe der anderen. Aber die Sache wird nicht anders, denn es fehlt etwas, etwas ist nicht da, das ist das Bewusstsein. Das ist alles."

 

 Sri Aurobindo am 4. Dezember 1925:
"Solange du tugendhaft sein musst, hast du die reinen spirituellen Höhen noch nicht erreicht, auf denen du nicht mehr darüber nachdenken musst, ob eine Handlungsweise moralisch ist oder nicht. Die Leute schließen immer vorschnell, dass, wenn du von ihnen forderst, über die Ebene der Moralität hinauszugehen, du von ihnen verlangst, unter das Niveau von Gut und Böse herabzusinken. Das ist jedoch in gar keiner Weise der Fall.... Durch Moralität wirst du menschlicher, aber du gehst nicht über die Menschlichkeit hinaus. Moralität hat dem Menschen vielleicht viel gutes getan; es hat ihm jedoch auch sehr geschadet."

Ein Schüler: Die Leute verwechseln immer Moralität und Spiritualität.

"Genau wie die Christen, für die es keinen Unterschied zwischen Moralität und Spiritualität gibt. Nimm zum Beispiel diese Fast, die Gandhi jetzt angekündigt hat. Das ist eine christliche Idee vom Sühnen der Sünde. All die anderen Gründe, die angeführt werden, sind dagegen eher lächerlich.
Die indische Kultur wusste um den Wert der Moralität und ebenso um deren Grenzen. Die Upanischaden und die Gita sind erschallen und bersten vom Gedanken, jenseits der Moralität zu gehen."

 

 

Eine Vision

 

Die Erinnerung daran erhob sich spontan, als ich den Blogeintrag beendete. Die Vision begründete vor vielen Jahren die ersten unsicheren Schritte auf dem spirituellen Pfad. Es war die Zeit des `positiven Denkens´ und der ersten Meditationserfahrungen:

 

Ich befinde mich in einer Art Kellerraum. Ich sehe nirgendwo Fenster, und trotzdem ist der Raum in ein warmes, dunkles Licht getaucht. Jeder meiner Schritte ist sicher, als wäre mir dieser Raum vertraut. 

Ich wende mich nach links und bleibe stehen. Mein Blick fällt auf einen Adler, eine lebensgroße Figur aus bemaltem Metall. Er sitzt erhöht auf einer Holzkiste, sodass er mit mir auf Augenhöhe ist. Die Figur ist sehr schlank, die Schwingen fest an den Körper angelegt, als würden sie damit verschmelzen.

Ich habe das Bedürfnis, ihm etwas zu geben und strecke ihm meine geöffnete Hand hin. Auf ihr liegen verschiedene Körner und Krümel. Er nimmt davon keine Notiz, aber plötzlich dreht er leicht den Kopf, sieht mich fest an und ich empfange tonlos, aber klar und bestimmt die Worte: "Du musst mich schon mit etwas Richtigem füttern."

 

Halbbewusst verstand ich damals, was er mir sagen wollte, und mein weiteres Leben bestätigte es. Die umfassende Bedeutung brachte jedoch erst der Wissenszuwachs hinsichtlich der äußeren globalen Ereignisse in den letzten Jahren mit sich. Ein paar Puzzleteile aus der Vergangenheit, die ich noch nicht verstand, fügen sich jetzt harmonisch in die Gegenwart ein, was mich mit tiefer Dankbarkeit erfüllt. 

 

 

 

 

 

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