Straft das Göttliche?

 

 

 

 

Im Leben kommt alles mögliche auf einen zu. Man darf aber nicht alles, was kommt, in der Vorstellung annehmen, es sei vom Göttlichen gesandt. Man hat zu wählen, und eine falsche Wahl hat ihre Konsequenzen.

 

Sri Aurobindo

 

Mikroskopische Perfektion

 

Die Mutter erhielt als spirituelle Leiterin des Ashrams regelmäßig Hefte von Schülern, die darin Fragen an sie aufnotiert hatten und die sie geduldig beantwortete. Bei der Ausformulierung kam sie dem Bewusstsein des Fragestellers entgegen, damit er auf die rechte Weise empfangen konnte. Ihre Worte waren nie bloße Worte, sondern stets wirkendes Bewusstsein. 

Eines dieser Hefte geriet für längere Zeit in Vergessenheit. Interessanterweise meldete sich der betreffende Schüler und forderte sein Heft genau in dem Moment zurück, als Mutter im Laufe ihrer langjährigen Transformation die entsprechende Erfahrung bis ins Detail durchlaufen hatte. Es handelte sich um folgende Frage:   

 

Liebe Mutter,

bestraft das Göttliche Ungerechtigkeiten? Ist es möglich, dass Er niemals jemanden straft?

 

Mutters Antwort: "Das Göttliche sieht die Dinge nicht wie die Menschen und braucht nicht zu strafen oder zu belohnen. Alle Handlungen tragen ihre Früchte und Konsequenzen in sich selbst.

Je nach Art der Handlung bringt sie einen näher zum Göttlichen oder entfernt einen von ihm, und dies ist die höchste Konsequenz.“

 

 In ihrer Unterhaltung mit Satprem

        führte sie näher aus: 

 

 "Es ist derart geschaffen und angeordnet, dass ALLES in jeder Sekunde so ist (und nun verstehe ich gewisse Bewegungen, die ich im Bewusstsein spürte und die ich mir nicht erklären konnte), automatisch und STÄNDIG, in jeder Sekunde (nur wir trennen die Zeit in Sekunden, aber es ist stetig). So führt der Weg zum Göttlichen, zur bewussten Identifikation mit dem Göttlichen, oder er entfernt sich davon. Der Körper hatte Dinge gespürt, die er nicht verstand, weil das Bewusstsein zwar in einer gewissen Verfassung war, aber manches trotzdem schlecht lief (plötzlich ein kleines Unwohlsein, ohne dass man weiß, warum): und dies ist der Grund. Das erklärt ALLES. So wird die Funktionsweise des Universums VÖLLIG erklärt.

 

 Satprem: Das beseitigt augenblicklich alle Begriffe von Sünde, Übel... 

 

ALLE menschlichen Gerüste fallen in sich zusammen. Es ist so einfach! Und dieses ganze Gedankengebäude, das die Menschen errichtet haben, um eine Erklärung zu finden, stürzt ein.

Es ist automatisch [die Funktionsweise].

Automatisch und universell. Ich habe festgestellt, dass dies nichts Vages oder Ungenaues ist: es ist absolut genau, als hätte jedes einzelne Element seine eigene Bestimmung... An einem Tag kann man einen großen Schritt rückwärts tun und am nächsten Tag einen großen Schritt vorwärts. Das erklärt die ganze scheinbare Verwirrung in der Welt.

Oh, plötzlich fühlte ich mich so erleichtert! Als sei ein Tonnengewicht der Unwissenheit von mir gewichen.

(Schweigen)

Du siehst, wie die Dinge angeordnet sind: ich tat es nicht absichtlich, aber ich fand das Heft erst wieder, als ich fähig war, zu verstehen. Weiß Gott, welche Antwort ich damals geschrieben hätte! Es kam genau in dem Augenblick, wo ich fähig war, zu antworten. Wunderbar. 

 

Ja, all dies ist wirklich von einer mikroskopischen Genauigkeit.

 

Ja, so ist es. Die Genauigkeit, die Exaktheit – dies ist das allgegenwärtige Höchste Bewusstsein. Es fällt einem schwer, sich dies überhaupt vorzustellen. Aber es ist offensichtlich... es springt einem in die Augen. (Agenda, 25. Juli 1970)

 

Zeugt nicht auch die Aussage Jesu Christi, dass jedes Haar auf unserem Haupt gezählt sei, von dieser mikroskopischen Perfektion? Und heißt es nicht schon bei Galater 6,7 : „Irret euch nicht! Gott lässt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten" ? 

Was man uns aber fälschlicherweise weismachen wollte ist, dass dies erst nach dem Tod, in einem weit entfernten Jenseits erfolgen sollte. Doch jeder Gedanke, jede Gefühlsregung, die wir vertiefen, jeder Anflug von Groll auf irgendjemand, jedes subtile Schuldgefühl, aber auch jede Freude, jede Aufwallung von Liebe, jedes spontane Loslassen von Stolz zugunsten eines friedlichen Miteinanders, all das hat in jeder Sekunde eine unmittelbare Auswirkung auf uns selbst und ergibt in seiner Gesamtheit das, was wir unter Karma verstehen.

Wir können uns bewusst auf Gott hin ausrichten, bestenfalls jederzeit "online sein", oder wir bewegen uns bewusst oder unbewusst in die entgegengesetzte Richtig, hin zu  Unbewusstheit, Vergessen, Unwissenheit oder sogar Trotz und Stolz und schlimmeres. All das hat jedoch Konsequenzen, die wir umso schneller erkennen, je weiter wir spirituell fortgeschritten sind. Manche erleben dann unmittelbar das, was man humorvoll Instantkarma nennt. 

 

 

Die evolutionäre Trägheit 

 

Diese Ferne und Trennung von Gott – oder gar der Hass auf Gott, von dem man nicht zuletzt in Form von globalem Selbsthass in der Transformation überschwemmt wird ist eine der schmerzhaftesten Erfahrungen, die es gibt. Diese dunkle Nacht der Seele ist allen spirituellen Suchern als ultimative Läuterung bekannt, wenn man das Gefühl hat, von immer von seiner göttlichen Quelle abgeschnitten zu sein. Aber es ist tatsächlich so, dass ein Großteil der Menschheit permanent in diesem Zustand der Unbewusstheit lebt und dabei gar nichts vermisst. Man gibt sich zufrieden, mit dem, was man hat und strebt nicht nach Höherem. 

Wir haben es auf dem Weg des integralen Yoga mit diesem immensen Widerstand, dieser großen Trägheit gerade in der irdischen Materie zu tun, die in unserem Körper aufgebrochen und überwunden werden muss. Denn unsere Körper sind aus dem Stoff der irdischen Natur gemacht – immer wieder von neuem, wenn wir hier inkarnieren. Alles Unbewusste und Unterbewusste, was wir als Formationen und Reste der Evolution im globalen Milieu hinterlassen haben, harrt dort zusätzlich seiner Erlösung. Deshalb beginnt fast jeder spirituelle Weg mit einer Gotteserfahrung, einem Gipfelerlebnis, wie manche es bezeichnen. Danach beginnen die Abstiege in diese Bereiche und ihre Läuterungen. Und es ist dieser immense Schmerz der Gottesferne, den es braucht, um unsere Sehnsucht nach dem Licht, dem Göttlichen, der Heilung, der Freude, dem liebenden Sein zu verstärken, um all das durchzustehen.     

 

 

Karma eins zu eins? 

 

Es ist nicht verwunderlich, dass Menschen, die sich durch bestimmte Gedanken und Verhaltensweisen vom Göttlichen entfernt haben, ihn tatsächlich als strafenden, zürnenden Gott erfahren. Genau das wurde tatkräftig und zuweilen auf brutale Weise von widergöttlichen Mächten und Institutionen "missioniert". Eine absolute Verzerrung der Göttlichen Wahrheit und damit eines der Puzzleteile, die in der irdischen Schöpfung wahrhaftig noch nicht an ihrem Platz sind. Diese Harmonie wieder herzustellen ist der Grund für unsere evolutionäre Krise.  

 

Karma als streng mathematisches Prinzip der Bestrafung oder Belohnung ist ein kindliches, mentales Konstrukt, ersonnen von einer verzerrten, rein symptomatischen Wahrnehmung eines begrenzten räumlichen und zeitlichen Ausschnitts. Es wird nicht selten dramatisiert durch unbewusste Glaubenssätze und Meinungen über das rechte Maß von Sünde und Bestrafung und das, was wir unter Gerechtigkeit verstehen. Dabei eins zu eins aufzurechnen wie eine Krämerseele, tut allein das menschliche Ego. Denn noch gleichen unsere Beziehungen, sogar unsere vermeintlichen Liebesbeziehungen, eher einem Kuhhandel, als einer Begegnung in bedingungsloser Liebe. 

Es obliegt dem Göttlichen Bewusstsein, wann und zu welcher Zeit Ereignisse in diesem oder im nächsten Leben eintreffen. Unsere Wahrnehmung reicht nicht aus, die Göttliche Gerechtigkeit zu verstehen oder zu erkennen. Im Göttlichen Bewusstsein gibt es den linearen Zeitbegriff nicht, und der Ablauf der Geschehnisse entspricht nicht unserer Vorstellung von Ursache und Wirkung. Wie urteilen, wenn die Ursachen in einer zurückliegenden Inkarnation liegen, an die wir uns nicht mehr erinnern? Wie all die Gründe und die Art unserer Verstrickungen mit anderen Menschen erkennen, wenn uns der Überblick über die vergangenen Leben fehlt? Alles ist im Göttlichen Bewusstsein bereits enthalten und tritt dann in unser Sein, wenn es benötigt wird und die Begleitumstände einer Inkarnation eine bestmögliche Entfaltung erlauben. Kein zürnender Gott macht es uns aus Rachsucht absichtlich schwer. (Es kommt allerdings ab und zu vor, dass sich neue Bedingungen ergeben, die es uns unmöglich machen, die Lernaufgaben, die wir in dieser Inkarnation anstreben, fortzusetzen.  Siehe Link unten.)

Um einen Vergleich zu nutzen: Ein Elternteil, das den Launen eines Kindes immer nachgibt und nur dessen Wünsche erfüllt, handelt dabei nicht immer aus Liebe, sondern aus Bequemlichkeit. Und nicht immer wird derjenige mehr vom Kind geliebt, der immer nur nachgibt. Dass die Früchte nicht selten enttäuschend sind, lehrte uns die sogenannte antiautoritäre Erziehung. 

 

Ob wir das begreifen oder nicht, es bleibt uns keine andere Wahl, als es hinzunehmen und zu vertrauen, dass das göttliche Bewusstsein besser als wir weiß, wohin die Reise geht und wie wir sie bestmöglich überstehen. Betreten wir aufrichtig einen spirituellen Pfad, lösen sich durch die absolute Hingabe an das Göttliche viele karmische Knoten in kürzester Zeit auf. Denn die Gnade Gottes steht über allen karmischen Gesetzen.  Dann erkennen wir auch unsere Lebensthemen immer deutlicher und sehen, wohin der Weg führt.  

 

 

 

Maria Knotenlöserin (Johann Georg Melchior Schmidtner)

 

Diese Gnadenbild hängt in der katholischen Wallfahrtskirche St. Peter am Perlach in Augsburg.

Ein schönes Bild für die Auflösung der karmischen Knoten, die wir im Laufe unserer Evolution durch Unwissenheit geknüpft haben.

All dies wird auf dem spirituellen Pfad gelöst, weil es der Vereinigung mit dem Göttlichen im Weg steht. Die Hand Gottes wird sehr oft als streng empfunden, aber es ist die liebevolle Strenge der göttlichen Mutter, wenn sie einen der festgezurrten karmischen Knoten in uns löst.  Die Geburtswehen in ein Neues Sein, durch die wir gehen müssen.  

 

Mutter hatte zum Thema Karma eine sehr beeindruckende Unterhaltung mit Satprem. Wer sie nachlesen möchte, findet sie hier hinterlegt

 

 

 

 

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Oft versucht man, die Vergangenheit zu vergessen, aber das ist vergeblich. Erst wenn sie euch die ganze Lehre gebracht hat, die sie euch im Leben bringen sollte (das reift langsam: man sieht die Sache in ihrer tiefsten Wahrheit), dann ist ihr Nutzen vergangen, sie verschwindet.

Im Grunde bin ich überzeugt, dass das Karma nur aus Dingen besteht, die man mit sich schleppt und derer man sich nicht auf die wahre Weise bediente... Hat man vollkommen und deutlich die Lehre gelernt, die dieses Ereignis oder jener Umstand einem bringen wollte, ist es vorbei, sein Nutzen ist vergangen und es löst sich auf.

Es ist interessant, diese Erfahrung zu verfolgen, zu beobachten.

 

Die Mutter

 

Weder die Natur noch das Schicksal, noch das Göttliche arbeiten auf die mentale Art und Weise oder nach dem Gesetz oder den Maßstäben des Mentals – das ist der Grund, warum selbst dem Wissenschaftler und Philosophen die Natur und das Schicksal und die Wege des Göttlichen ein Mysterium sind. Die Mutter arbeitet nicht mit Hilfe des Mentals, es ist daher müßig, ihr Wirken mit dem Mental zu beurteilen.

 

Sri Aurobindo

 

Alle Energien, die in Tätigkeit umgesetzt werden – Denken, Sprechen, Fühlen, Handeln – bilden karma. Diese Dinge tragen dazu bei, die menschliche Natur in der einen oder anderen Richtung zu entwickeln. Die Natur, ihre Tätigkeiten und Reaktionen bewirken innere und äußere Konsequenzen; sie beeinflussen andere und schaffen Bewegungen in der allgemeinen Summe der Kräfte, die früher oder später zu einem zurückkehren können. Unausgedrückte Gedanken können ebenfalls als Kräfte hinausgehen und Auswirkungen zeitigen. Es ist falsch anzunehmen, dass ein Gedanke oder Wille nur dann eine Auswirkung haben kann, wenn er sich in der Rede oder Tat äußert: der unausgesprochene Gedanke und der unausgedrückte Wille sind ebenfalls tätige Energien mit eigenen Schwingungen, Auswirkungen oder Reaktionen.

 

Sri Aurobindo

 

 

 

 Schicksal bezieht sich streng genommen nur auf das äußere Wesen, solange es in der Unwissenheit lebt. Das was wir Schicksal nennen, ist in Wirklichkeit lediglich das Ergebnis des gegenwärtigen Zustandes des Wesens, seiner Natur sowie der Energien, die es in der Vergangenheit angesammelt hat und die aufeinander einwirken und die gegenwärtigen Versuche und ihre künftigen Ergebnisse bestimmen. 

Sobald man aber den Pfad des spirituellen Lebens betritt, beginnt dieses alte, vorherbestimmte Schicksal zurückzutreten. Ein neues Element kommt hinzu, die Göttliche Gnade, die Hilfe einer höheren Göttlichen Kraft, die sich von der Kraft des karma unterscheidet und den Sadhak über die gegenwärtigen Möglichkeiten seiner Natur hinausheben kann. Die Göttliche Erwählung wird dann zum spirituellen Schicksal, das die Zukunft sichert. 

 

Sri Aurobindo


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