Der Mensch – eine fehlerhafte Laune der Natur?

Was war also der Anfang der Angelegenheit? Eine Existenz, die sich für die alleinige Freude des Seins vervielfältigte und die sich in zahllose Milliarden Formen tauchte, um sich schließlich unzählige Male wiederfinden zu können ... 

Und was wird das Ende der Angelegenheit sein? Wenn der Honig sich gleichsam selbst schmecken könnte und alle seine Tropfen zur selben Zeit schmecken könnte, wenn alle Tropfen sich untereinander auskosten könnten und jeder die gesamte Wabe wie sich selbst auskostete; so sollte das Ende für Gott, die Seele des Menschen und das Universum sein. 

 

Sri Aurobindo 

 

 

Was ist die Schöpfung? Und was ist Gott? Steht er als Schöpfer außerhalb seiner oft so schmerzgeplagten Schöpfung und seiner Geschöpfe und lenkt diese aus der Ferne, unberührt von all dem Leid? Oder ist er in seine ganze Schöpfung involviert, also auch Teil der Materie?

Das impliziert die Frage: Ist er „nur“ als seelisches geistiges Wesen, eingeschlossen in unserem Innersten, vorhanden? Verborgen in diesem „Fleischkleid“, das der Abnutzung unterworfen ist, stirbt und am Ende wieder verlassen werden muss? Oder existiert er vor unseren Augen verborgen in jeder Zelle unseres menschlichen Körpers, bis hinein ins kleinste Atom?

Nimmt man letzteres an: Weshalb sind unsere Körper dann der Abnutzung unterworfen? Weshalb diese ständige Wiederholung von Geburt, Krankheit und Tod, die von unserem leiblichen Wesen als so leidvoll empfunden werden? Und weiter: Wozu der ganze Schmerz, wenn Er in jeder Zelle unseres Körpers existiert …?

 

Wozu dient es, so viel gekämpft, so viel gelitten zu haben, etwas geschaffen zu haben, das zumindest seiner äußeren Erscheinung nach so tragisch und dramatisch ist, wenn es bloß darum geht,  zu lernen, sich aus dem Staub zu machen – wir hätten besser gar nicht erst damit angefangen! ...

Die Evolution ist kein gewundener Weg, um abgekämpft an den Ausgangspunkt zurückzukommen; ganz im Gegenteil, es geht darum, die gesamte Schöpfung die Freude des Seins, die Schönheit des Seins, die Größe des Seins zu lehren, die Majestät eines sublimen Lebens und andauernde Entwicklung, ununterbrochen fortschreitend in dieser Freude, dieser Schönheit, dieser Größe – dann ergibt alles einen Sinn. 

 

Die Mutter

 

 

 

Involution und Evolution

 

(Basierend auf „Sri Aurobindo, Essays in Philosophy and Yoga")

 

Die eher westliche Idee der Evolution fußt laut Sri Aurobindo auf wissenschaftlicher Beobachtung. Reduziert auf die physikalischen und biologischen Gesetzmäßigkeiten der Natur und zufrieden damit, eine mehr oder weniger „mysteriöse und unerklärliche Energie als Antriebskraft“ dahinter zu sehen. Ohne Verständnis für sich selbst. Ein eher „blinder, ständiger Automatismus, die Kraft einer rastlosen materiellen Notwendigkeit.“ Die Frage des Warum wird ausgeklammert.

Kurz: Es geht um die Feststellung eines Schöpfungsprozesses, nicht die Erklärung unseres Seins.

 

Aufgrund seiner Forschungen kommt Sri Aurobindo zu einer sehr viel weiteren Auffassung:

Nimmt man an, dass sich hinter allem Sein eine höhere Weisheit verbirgt, die für die Abläufe in der Natur verantwortlich ist, dann beinhaltet für ihn das Wort Evolution die Notwendigkeit einer vorausgegangenen Involution. Betrachtet man die Evolution als spirituellen Prozess, dann ist sie eine „Selbstoffenbarung von etwas, was von Anfang an da war.“

Zunächst unsichtbar verborgen in der Materie, seiner selbst nicht bewusst, vollzieht sich ein Ringen um Selbstausdruck in einer mannigfaltigen Gestaltungskraft. Leben ergreift Besitz von der Materie. Das sogenannte Vital bildet immer feinere und komplexere Strukturen aus, Vergnügen findend an dem „verstehenden Geschmack der Aktion“

Letztlich ergreift der auftauchende Verstand (Mental) vom Leben Besitz durch die „Anziehungskraft der Schönheit, des Guten, der Weisheit und der Größe auf dem Weg hin zur Freude eines halb erblickten Ideals höchster Existenz …“ .

Jeder weitere Schritt in dieser fortschreitenden Evolution bedeutet das Erklimmen einer höheren Bewusstseinsebene und eröffnet irgendwann den Blick auf den selbstoffenbarenden Geist in den Dingen.

„Der Geist, der in das materielle Bewusstsein eingeschlossen ist, ist es mit all seinen Kräften; Vital, Mental und eine größere supramentale Kraft sind in der Materie eingeschlossen. … Die Geburt einer Seele in einen Körper ist nichts anderes als eine Art und Weise des Selbstausdrucks. Deshalb sind alle Dinge hier Ausdruck, Form, Energie, Aktion des Geistes: Die Materie selbst ist nichts anderes als eine Form des Geistes; Leben nichts anderes als Energie des lebendigen Geistes, Verstand nichts anderes als das arbeitende Bewusstsein des Geistes. Die gesamte Natur ist eine Leinwand und ein Spiel Gottes, Kraft und Aktion und Selbsterschaffung des einen göttlichen Geistes.“ 

Sri Aurobindo zieht daraus den logischen Schluss, dass die Entwicklung nicht abgeschlossen ist und die Geburt in eine göttliche Menschheit der nächste Schritt. 

 

Nach Sri Aurobindo ist der Mensch ein zweifach involviertes Wesen: 

„Das meiste von ihm unterhalb seines Verstandes und tiefer ist eingeschlossen im Unterbewusstsein oder im Unbewussten; das meiste von ihm oberhalb des Mentals ist verborgen in einem geistigen Unbewussten. Wenn er des Übergeistigen bewusst wird, werden die Höhen und Tiefen seines Seins durch ein anderes Wissen erleuchtet werden als dem, das der flackernde Schein des Mentals im Moment in ein paar Ecken leuchten kann …“

Erst dann wird der unsterbliche Geist in uns „die Realität seines eigenen Mentals und Lebens und Körpers erkennen. Mental wird in ein höheres Bewusstsein verwandelt werden, das Vital wird eine unmittelbare Kraft und Aktion des Göttlichen sein, sein sichtbarer Körper nicht länger dieser grobe Klumpen atmenden Lehms sein, sondern zu einem äußeren Abbild und Körper des seelischen Wesens werden.“

 

Hier wird bereits deutlich, was Mutter später erfahren sollte: Je höher wir im Bewusstsein aufsteigen, umso tiefer müssen wir hinabsteigen. In die Tiefen der Materie, um in das globale Unterbewusste und Unbewusste das entsprechende Licht hineinzubringen. Nur so kann dieser Bereich der Materie transformiert werden:

„Man kann wohl sagen, erst wenn sich der Kreis wirklich geschlossen hat und die beiden äußersten Enden sich berühren, wenn sich das Höchste im Materiellsten manifestiert – die Höchste Wahrheit im Kern des Atoms – dann wird die Erfahrung abgeschlossen sein.

Es scheint, dass man nie wahrhaftig versteht, es sei denn, man versteht mit dem Körper.“ (Mutters Agenda) 

 

So lässt sich das Zitat zu Anfang des Artikels in seiner ganzen Tiefe verstehen: Der Honig, der sich sowohl als alle seine Tropfen im einzelnen und als alle zugleich und als Honigwabe zugleich auskosten möchte, für die alleinige Freude des Seins. 

Diese Aussagen decken sich auf erstaunliche Weise mit den Schilderungen des Probanden Dr. Peter Reiter, der sich unter Hypnose bis in den Urgrund des Seins durch alle Inkarnationen rückführen ließ. Durchgeführt und aufgezeichnet wurden die Sitzungen über mehrere Jahre von einem der anerkanntesten Hypnosetherapeuten im deutschsprachigen Raum, Werner J. Meinhold: 

 

"Indem man die Dinge beseelt und gestaltet, erfährt man sie. Man erfährt auch einen Teil seiner Seele dann, weil man beseelt sie ja. Und in Individuen tritt die Seele einem gegenüber in der Liebe, warum sie ja auch, wie ich mal sagte, die Vervollkommnung allen Lebens darstellt. Man liebt beides gleichzeitig dann, man erkennt vor allem. Das Erkennen und die Liebe sind doch eins. Was man liebt, erkennt man. Man erkennt´s aber nicht nur abstrakt, wie am Anfang der Schöpfung. Diese Harmonie ist da schon, aber sie ist irgendwie leer.

Erst, wenn man es beseelt und andere Individuen über die Vereinzelung liebt und wieder ins Ganze zusammenfügt, dann liebt man ja praktisch sich elementar; aber nichts nur als Abstraktum, sondern als Konkretheit.

Und so kann ich praktisch meine Seele fassen, mein Inneres. Und besonders, wenn mir Seele als Seele gegenübertritt, dann finde ich mich wirklich selbst, weil das ist ja Substanz von meiner Substanz oder Licht vom Licht, wie ich das schon ausgedrückt habe. - Da müssen trotzdem die Farben nicht vergehen, aber sie können in ein großes Gemälde ineinanderfließen. - Es ist schwer. Man geht durch, von Anfang an, um zu erkennen. Irgendwas sucht man, und erst viel später merkt man, dass man sich selbst sucht da drin. Aber das wirklich Essentielle, ich glaube, das steht - in dieser Harmonie. - Und die christliche Liebe ist schon so eine Art Vorgeschmack, denn wenn sich wirklich jemand so lieben könnte, wie es da gesagt wird - dann würde er ja alles erkennen.“  (Der Wiederverkörperungsweg eines Menschen durch die Jahrtausende - Ein Forschungsbericht. Artus-Verlag Mannheim. S. 273, 274)

 

Das göttliche Bewusstsein, Gott, ist alles, was existiert. Wir sind Er, eine seiner vielen Ausdrucksformen, die im Moment noch mit sich selbst und all den anderen Versteck spielen. Doch langsam erwachen wir aus dem Dämmerschlaf. Eingebettet in diese träge Materie, deren Bewusstsein aus unzähligen Wiederholungen von Erfahrungen entstanden ist. An denen es zäh festhält, sie immer wieder automatisch abspult. Unbeeinflussbar durch unseren Verstand.

Es bleibt die interessante Frage, wie dieser „grobe Klumpen eines atmenden Lehms“ in ein fließendes, spontan reagierendes Abbild leuchtenden Lichts unseres seelischen Wesens verwandelt werden soll? 

Wenn auch für uns unsichtbar, enthalten bereits alle Zellen der Materie bis ins kleinste Atom das göttliche Bewusstsein. „Nichts kann sich aus der Materie entwickeln, was nicht bereits in ihr enthalten ist.“ (Sri Aurobindo)

Jetzt geht es darum, diese verborgene Macht freizusetzen. Unser Körper wird angepasst, elastisch und stark gemacht. Damit er das Licht, die Liebe und die unendliche Weite des göttlichen Bewusstseins ertragen kann. Dabei wird ein vollkommen neues Wesen entstehen, etwas noch nie Dagewesenes wird sich manifestieren. Mutter sagte darüber, dieser evolutionäre Schritt entspräche etwa dem vom Tier zum Menschen. 

 

 

Durch den Tod erinnert die Natur das Leben ständig daran, dass es sich selbst noch nicht gefunden hat. Ohne den Tod wäre alle Kreatur für immer an eine unvollkommene Form des Lebens gebunden. 

Vom Tode gehetzt, erwacht sie zu der Idee eines vollkommenen Lebens und sucht nach den Mitteln, es zu ermöglichen.

 

Sri Aurobindo 

   

  

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